Sehr geehrter Herr Oezdemir,
als am Freitag das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage von Frau Ludin
abgelehnt hat, fand ich insbesondere die Reaktion der
baden-württembergischen Grünen verblüffend und zugleich enttäuschend. In
den Stuttgarter Nachrichten hieß es: "Die Landtags-Grünen begrüßten das
Urteil: "[...]Das Kopftuch hat einen demonstrativen Bekenntnischarakter,
und das gehört nicht zur Rolle der Lehrerin", sagte Biggi Bender,
stellvertretende Fraktionsvorsitzende."
Obwohl ich mich in der 'Grünen Alternativen Jugend' engagiert habe, den
Grünen politisch also sehr nahe stehe, ging mir im ersten Augenblick der
Enttäuschung durch den Kopf: Die gefährlichste Art von Rassismus findet
doch wirklich unter dem Deckmantel der vermeintlichen Toleranz statt!
Diese Kritik war voll und ganz an die Grünen adressiert. Wirklich, ich
hätte mir - gerade hier - mehr Sachverstand und Sachlichkeit erhofft!
Wie kann man nur ein religiöses Motiv mit fundamentalistischem
Extremismus gleichsetzen? Was wäre passiert, wenn ein Lehrer mit einem
auffälligen christlichen oder jüdischen Motiv erschienen wäre?
Ich denke, manche Menschen nehmen sich einfach viel zu wenig Zeit, zu
unterscheiden: zum Beispiel dass Fundamentalismus meistens mit
Religion zusammenhängt, aber Religion nicht gleich Fundamentalismus
bedeutet!
Oder sie unterscheiden zu viel: zum Beispiel zwischen Christen und
"Heiden"!
Freilich gäbe es die Möglichkeit, wie in Frankreich, die Religion ganz
von den Schulen zu verbannen. Aber hier in Deutschland ist das
Verhältnis zwischen Kirche und Staat eben über das Konkordat geregelt.
Und wo es Religionsunterricht gibt, da kann es keine religiöse
Neutralität geben, das wäre ein Widerspruch. Aber wieso sollte nur die
christliche Kirche ein Recht auf freies Bekenntnis haben?
Ein wenig mehr Pluralismus an
deutschen Schulen würde auch die Erziehung zur Toleranz erleichtern!
Solange keine einzige Partei für dieses freie Bekenntnis einsteht, ist
das meiner Meinung nach ein Armutszeugnis für die heutige Politik.
Ich wende mich damit an Sie, weil ich hoffe, dass Sie mehr Sensibilität für
solche Fragen besitzen. Wenn man selber erfahren hat, was Intoleranz
bedeutet, dann hat man oft auch klarere Vorstellungen von Toleranz.
Ich hoffe, die Grünen überdenken noch einmal ihre Position.
Mit freundlichen Grüssen
Itaj
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Religion gegen Fundamentalismus
haGalil onLine
29-03-2000 |