|
Deutsch ist Jiddisch ohne
Humor:
Der Traum, unsichtbar zu sein
Radu Mihaileanus
Holocaust-Märchen "Zug des Lebens"
Dies ist ein Film, der nicht direkt
vom Holocaust erzählen will und doch vor dessen Schrecken nicht zurückweicht.
Eine einfache, verrückte Geschichte, die voller Liebe steckt. Ein seltsam
eigensinniges Projekt, das Zweifel und Bedenken erst einmal beiseite wischt, um
sie dann, ganz am Ende, triumphal zu entkräften.
Schon die ersten Minuten zeigen, wie
unbekümmert Radu Mihaileanu an „Zug des Lebens“
herangeht. Er wirft uns mitten hinein ins turbulente Leben eines jüdischen
Schtetls, irgendwo im tiefen Osten Europas, im Jahr 1941. Da wird eine Sprache
gesprochen, die – zumindest in der deutschen Synchronisation – wie echtes,
breites Jiddisch klingt. Da wird wild debattiert im Rat der Weisen, gestikuliert
und mit den Augen gerollt, und wenn es gar zu laut wird, kommt eine Mamme herein
und droht mit dem Rauswurf. Und da gibt es Schlomo, den Dorfnarr mit dem
verträumten Marc-Chagall-Blick, der von den nahenden Deutschen und vom Schrecken
der Deportation berichtet und dann auch gleich eine Lösung vorschlägt: Wir
kaufen einen Zug und deportieren uns selbst, sagt er. Direkt nach Palästina, ins
gelobte Land.
Dies ist kein jüdischer Humor, wie das
Kino ihn bisher kennt. Er erinnert nicht an Billy Wilders scharfzüngige
Doppeldeutigkeiten, an Woody Allens neurotische Denksprünge oder an die
todesmutige Eleganz von Ernst Lubitsch, aus dessen „Sein oder Nichtsein“ die
Grundidee für „Zug des Lebens“ stammt. Hier geht es um
eine einfache, beinah verklärte Welt. Hier sind die Helden auch Typen einer
verlorenen Folklore, die etwas Derbes und Verschmitztes haben: Beinah eine
jüdische Utopie, ein Rollenspiel, indem nach Herzenslust chargiert werden darf.
Yankele, der Finanzverwalter, bekommt Magenkrämpfe bei jeder Ausgabe, der Rabbi
fürchtet vor allem den Kommunismus, und die schöne Esther sucht einen Mann zum
Heiraten. Er wollte von einem Ort erzählen, sagt der rumänische, inzwischen in
Frankreich lebenden Regisseur, in dem seine Familie gelebt hat, den er aber
nicht mehr kennt. Und natürlich denkt der Betrachter, der gern in dieses
Dorfidyll eintaucht, weniger an den Plan der Flucht als an den wahren Kern der
Geschichte: Daran, wie all diese Menschen, Typen und Geschichten vernichtet und
ausgelöscht wurden.
Die Rettung schreitet trotzdem mit
Leichtigkeit voran: Schrottreife Zugwaggons werden restauriert, Nazi-Uniformen
genäht, Befehle gefälscht – und jene Unglücklichen, die als Bewacher des
Deportationszugs ausgewählt wurden, müssen zum Deutsch-Unterricht beim
sprachkundigen Schmecht. Mordechai, der Schreiner, wird die größte Last tragen:
Er verkörpert die Rolle des Kommandanten. „Die deutsche Sprache ist sehr hart,
Mordechai“, sagt Schmecht zu ihm. „Präzise und traurig. Jiddisch ist eine
Parodie des Deutschen, hat jedoch obendrein Humor. Ich verlange also nur von
Ihnen, den Humor wegzulassen. Sonst nichts.“ Sehr schnell wird klar, dass es
nicht um die realen Schwierigkeiten geht, die das ganze Unterfangen mit sich
bringt. Der Zug setzt sich gen Russland in Bewegung, und schon bald wird er von
echten Nazis gestoppt – aber die sind leicht zu überlisten.
Mihaileanu ist klug genug, nicht auf
Suspense zu setzen; er bleibt im Reich der Fabel. Andere Probleme tauchen auf:
Verwirrte Partisanen verfolgen den Zug, im Inneren bildet sich eine
kommunistische Zelle, die den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft zu sprengen
droht, und Mordechai, der falsche Kommandant, scheint seine Befehlsmacht
plötzlich zu sehr zu genießen. Diesen Zug, so viel ist klar, werden selbst
komische Eskapaden, Leichtsinn und Streitlust nicht aufhalten – zumindest nicht
für die Dauer eines Kinotraums. Dass diesem Traum ein Erwachen folgen muss, ist
dennoch unausweichlich. Dieses Erwachen, eine schreckliche Minute am Ende,
vertieft und klärt die Perspektive des Films und wirkt als Bild sehr lange nach.
Es gibt eigentlich keinen Grund, „Zug
des Lebens“ mit Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ zu vergleichen –
aber man muss es wohl tun, weil schon vor zwei Jahren in Venedig der Vorwurf
laut wurde, Benigni habe die Idee geklaut. Es ist auch klar, dass er Mihaileanus
Drehbuch gelesen hat, als der ihm die Rolle des Dorfnarren anbieten wollte.
Sobald man beide Filme kennt, scheint die Beschuldigung dennoch absurd: „Zug
des Lebens“ handelt von dem Traum, das Zeichensystem des Feindes ironisch
zu adaptieren und dadurch, inmitten der Vernichtung, für die Deutschen praktisch
unsichtbar zu werden. „Das Leben ist schön“ erzählt von einem anderen Traum: die
Interpretationsmacht über das eigene Schicksal zu behalten – und den realen
Terror, zumindest in den Augen eines Kindes, als Spiel erscheinen zu lassen. Die
eher oberflächliche Gemeinsamkeit, dass beide Geschichten Holocaust-Märchen
sind, rechtfertigt jedenfalls noch keinen Plagiatsvorwurf – und Mihaileanu
selbst will diesen Vorwurf auch nie erhoben haben. Die Frage aber bleibt, warum
Benigni ein Oscartriumph und Welterfolg gelungen ist, während „Zug
des Lebens“ erst jetzt ins Kino kommt. Die Antwort könnte sein, dass
Mihaileanu einfach mehr wagt: Er will wirklich von der untergegangenen jüdischen
Kultur erzählen, die Vernichtung eines ganzen Volkes spürbar machen. Über die
Ebene einer persönlichen Tragödie, mit der sich jeder sofort identifizieren
kann, geht er eindeutig hinaus.
TOBIAS KNIEBE
FEUILLETON Donnerstag, 23. März 2000
Bayern Seite 19 / Deutschland Seite 19 / München Seite 19
TRAIN DE VIE, F 1998 – Regie und Buch:
Radu Mihaileanu. Kamera: Yorgos Arvanitis, Laurent Dailland. Musik: Goran
Bregovic. Mit: Lionel Abelanski, Rufus, Clement Harari, Michael Muller, Agathe
de la Fontaine, Bruno Abraham-Kremer. Verleih: Movienet, 103 Minuten.
probeabo.htm
|