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MÜNCHNER KULTUR / Samstag, 5. Februar 2000
Süddeutsche Zeitung

Das Stroboskop
des Schreckens

Einer, der sich nicht schont:
Max Mannheimer wird 80 Jahre alt


Foto: Roswitha Grosse
SZ p.8 / 5./6. Feb.'2000

Um 15.30 Uhr werde er an der Pforte sein, hatte er am Telefon gesagt. Um 15.30 Uhr, genau, stand er an der Pforte, Hintereingang der SZ. Und nun sitzt er also im Caffè Streiflicht zum Interview. Es ist das dritte oder vierte, das er an diesem Tag gibt.

Am Sonntag wird Max Mannheimer, geboren im tschechischen Neutitschein, Auschwitz-Häftling mit der Nummer 99 728, achtzig Jahre alt. Da möchten viele mit ihm sprechen; schließlich sind nicht mehr viele übrig, die noch Auskunft aus eigenem Erleiden geben können. Bald wird dieser Abschnitt in der deutschen Geschichte ganz den Historikern gehören, nicht mehr den Zeugen. Mannheimer hat alles ihm Mögliche getan, dass dieses Kapitel deutscher Geschichte nicht vergessen wird; er geht in die Schulen, führt Gruppen durch die Gedenkstätte in Dachau, ist – auf Podien oder als aufmerksamer Beobachter im Publikum – immer präsent, wenn es um das Thema der Vernichtung des europäischen Judentums geht, und kümmert sich heute als Präsident der Lagergemeinschaft Dachau um die Mitüberlebenden und die Tradition der Erinnerung.

Er gibt bereitwillig Auskunft. Trotzdem: Es ist da doch immer auch eine Scheu, wenn man einem Menschen gegenübersitzt, in dessen linken Unterarm blauschwarz eine Häftlingsnummer eingebrannt ist. Also vorsichtiges Herantasten, dezente Fragen. Was er denn von der Neugestaltung der Gedenkstätte in Dachau halte; wie es der Stiftung „Erinnerung“ gehe, die die Neuausgabe seines Späten Tagebuchs unterstützt hat.

„Wissen Sie, was für ein Tag heute ist?“, fragt er plötzlich. Es ist Mittwoch, der 2. Februar. „Es ist jetzt“, sagt er und schaut auf seine Uhr, „genau 57 Jahre und zehn Stunden seit dem ersten Appell in Auschwitz.“ Um Mitternacht war der Transport aus Theresienstadt in Birkenau angekommen. Nun, noch keine 24 Stunden sind vergangen, sind sie eingeführt in die Hölle, und die, die an der Rampe nach rechts gewiesen wurden, sind schon tot. Auch die Eltern Max Mannheimers, seine Schwester, seine Schwägerin, seine Frau. Das weiß er noch nicht. Er und die Ausgesuchten treten an zum Appell. „Vordermann! Seitenrichtung! Sauhaufen! Der Blockälteste schreit. Die Stubendienste schreien. Wir werden gezählt.“ In hetzendem Staccato hat Mannheimer in seinem Tagebuch diesen ersten Tag in Auschwitz geschildert. Wie unter einem gnadenlosen Stroboskop blitzen Szenen und Bilder auf, die sich in jeder Einzelheit eingebrannt haben ins Gedächtnis. Es sind nackte, grelle Bilder, festgehalten in mitleid-, in atemlosen Einwortsätzen. Wie Stockschläge wirken sie und kennzeichnen dieses Tagebuch auch über den Inhalt hinaus als etwas Besonderes.

Erst spät, 1967, unter dem Eindruck einer schweren Erkrankung, hat er seine Erinnerungen, die jetzt in überarbeiteter Form in Ernst Pipers Pendo Verlag neu herausgekommen sind, für seine Tochter zu Papier gebracht. Zeugnis geben: Das schafft man nicht gleich. Die Überlebenden mussten erst einmal wieder das Leben lernen. Mussten das Erlebte aus dem Kopf und dem Herzen drängen, Erinnerung überleben – oder übermalen, wie Max Mannheimer es tat.

Als Maler nennt er sich ben jakov, Sohn des Jakob – Jakob hieß sein Vater. Bis zum 18. Februar sind Mannheimers Gemälde unter dem Titel „dem Leben wieder Farbe geben“ im Foyer des Dachauer Rathauses ausgestellt. Und am Montag (19.30 Uhr) wird er das Späte Tagebuch bei einer Veranstaltung des Vereins „Gegen das Vergessen“ im Literaturhaus vorstellen und daraus vorlesen. Auch die schwierige Passage mit der guten Tat: als sein kranker Bruder von einem Mithäftling eine wattierte Jacke bekommt; eine im Überlebenskampf in Auschwitz-Birkenau überwältigend hohe Tat war das. Sie überwältigt ihn immer noch. Genauso wie Mitgefühl. Oder Tränen. Da bricht der scheinbar sichere Damm namens „Zeugenschaft“ auch für Max Mannheimer. Und deshalb kehren wir jetzt ganz schnell zurück in die Gegenwart, zu alten und neuen Rechten. Da mischt er sich ein, nimmt die Konfrontation an, als Zeuge im Prozess gegen einen Herrn Deckert, der frech den Holocaust leugnet, oder im Gespräch mit Ewald B. Althans, dessen Beruf Neonazi war. Er schont sich nicht, dieser Max Mannheimer, weder körperlich noch seelisch.

ELISABETH BAUSCHMID

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten
Süddeutsche Zeitung GmbH, München

Aus den Erinnerungen von Max Mannheimer:
Theresienstadt - Auschwitz - Warschau - Dachau

 

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