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Angst, Gewalt und das Dilemma der Demokratie:
Wer hat die Macht in der Stadt?

Anmerkungen zu einer Tagung 
über kommunales Handeln gegen 
Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit

von Urte Lützen und Daniel Becker


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Toulon und Frankfurt (Oder) trennen auf den ersten Blick Welten. Doch haben beide Städte gemeinsam, daß sie am Ende dieser ihrer Welten liegen. Das Wasser, die natürliche Grenze der Welten, bildet hier wie dort eine unsichtbare Mauer, die den "Westen" vom sozialen Gefälle des "Südens" bzw. des "Ostens" abschottet. Auf der anderen Seite des Wassers scheint eine dunkle Bedrohung zu lauern. Die Angst vor dieser Bedrohung ist in beiden Städten deutlich spürbar, sie beherrscht die Straßen.

In Toulon hat sich die Angst politisch manifestiert, aber eine unübersehbare Minderheit versucht nun, diese politisch institutionalisierte Angst aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu bekämpfen. In Frankfurt (Oder) scheint es genau umgekehrt zu sein. Die Angst ist gesellschaftlich institutionalisiert, während die Politik mehr oder weniger hilflos zusieht. Zwei Beispiele aus zwei Ländern, zwei unterschiedliche politische Kulturen, aber das gleiche Problem: die erschreckend hohe Präsenz rechtsradikaler Gruppierungen und xenophober Einstellungen.

Podiumsdiskussion mit (v.l.) Martin Patzelt, Beigeordneter für Kultur, Jugend und Soziales der Stadt Frankfurt (Oder), Almuth Berger, Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, Jean-Yves Camus, Europäisches Forschungszentrum Rassismus und Antisemitismus, Paris, und Maurice Charrier, Bürgermeister von Vaulx-en-Vellin.

Um Erfahrungen zu bündeln und einen ersten Gedankenaustausch zu ermöglichen, veranstaltete das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Genshagen, in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Politikwissenschaften der Europa-Universität eine Tagung zum Thema "Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt – Projekte und Initiativen auf kommunaler Ebene" im Heinrich-Heine-Haus in Paris. Fruchtbare Diskussionen zwischen Wissenschaft und Praxis ergaben ein erstaunlich differenziertes Bild der Lage.

Während der Rechtsradikalismus in Frankreich vor allem organisationsförmig, insbesondere durch den Front National repräsentiert auftritt, scheint in Deutschland eher ein subkulturelles Milieu zu dominieren, das darüber hinaus recht fragmentiert ist. Im Kampf gegen den Rechtsradikalismus werden in Frankreich vor allem zivilgesellschaftliche Mechanismen aktiviert, wohingegen sich in Deutschland die Reaktionen weitgehend auf juristische und politische Maßnahmen beschränken.

Für Brandenburg im besonderen hängt dieses sicherlich auch damit zusammen, daß sich in den zehn Jahren seit der friedlichen Revolution noch keine starken zivilgesellschaftlichen Strukturen haben ausbilden können. "Das Problem ist, daß Intoleranz toleriert wird!" brachte es Almuth Berger, Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, auf den Punkt.

Das könnte auch erklären, warum rechtsradikal und ausländerfeindlich motivierte Gewalt in Deutschland offener zu Tage tritt als in Frankreich. Dies bedeutet aber nicht, daß es in Frankreich keine rechtsradikale Gewalt gibt, sie tritt lediglich in anderen Erscheinungsformen auf: gerade in Gegenden, in denen der Front National stark ist, nimmt die Gewalt subtilere, institutionalisierte Formen an.

Aus Toulon, das seit einigen Jahren durch den Front National regiert wird, berichtete die Schriftstellerin Andrée-France Baduel, daß hier der Rassismus gewissermaßen offizielle Kommunalpolitik sei; eine Entwicklung, die z.B. bei der Vergabe von Sozialwohnungen spürbar sei. In diesen Fällen sei es jedoch unsinnig, ja unmöglich, mit juristischen Mitteln gegen ausländerfeindlich motivierte Diskriminierungen vorzugehen, statt dessen hätten sich in Toulon – und hier liegt die positive Botschaft – gesellschaftliche Strukturen des Protestes, ja des zivilen Ungehorsams entwickelt. Frau Baduel betonte, daß letztendlich nichts besser zur Bekämpfung eines institutionell verankerten Rassismus beitrage, als offener Widerspruch aus der Bevölkerung. "Wenn wir darüber schweigen," sagte sie, "haben die Rechten bereits einen ersten Sieg errungen."

Diskussion in Arbeitsgruppen. Hier im Bild (v.l.): Angelina Peralva, Universität Toulouse-Le Mirail, Dietmar Loch, Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld, Irene Wiegand, Bbi Genshagen, Kerstin Eckstein, Maison Heinrich Heine, Paris, Maryse Souchard, Universität Nantes, Estelle Lemoine, Compagnie Zarina Kahn, Paris...

Michael Minkenberg, Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft an der Europa-Universität, wies in diesem Zusammenhang auf eine zentrale Frage im Umgang mit Rechtsradikalismus hin: Wieviel Toleranz dürfen die politisch Handelnden rechtsradikalem Gedankengut entgegenbringen, zu welchem Zeitpunkt muß mit Repressionen geantwortet werden? Interessant wurde die Diskussion in diesem Punkt besonders durch das Dilemma, in dem sich präventive Sozialarbeit und repressive Polizeiarbeit wiederfinden. Macht sich die Demokratie nicht unglaubwürdig, wenn sie nicht alle am öffentlichen Diskurs teilhaben läßt? Oder kann sich nicht nur derjenige auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, der die demokratischen Spielregeln vorbehaltlos anerkennt? Zu Recht wies Minkenberg darauf hin, daß Repression die Betroffenen gewissermaßen zu Märtyrern mache, andererseits jedoch die Bereitschaft demokratischer Politiker, Sozialarbeiter oder Polizisten zum Dialog mit Rechtsradikalen deren Thesen hoffähig zu machen drohe. Letztendlich läßt sich dieses Dilemma wohl nicht einfach lösen; wichtiger wäre es vielleicht, die Gründe für fremdenfeindliche, extremistische Einstellungen genauer auszuloten, um hier von vornherein besser vorbeugen zu können.

Was aber sind die Ursachen des Rechtsradikalismus in beiden Ländern? Sind es wirklich die zunehmende Verunsicherung gerade junger Menschen, die sich durch verstärkte Individualisierung der Gesellschaft ihrer sozialen Bindungen beraubt sehen und deshalb neuen Halt in abstrusen Ideologien und einer wie immer gearteten "nationalen Gemeinschaft" suchen, wie Martin Patzelt, Kultur-, Jugend- und Sozialbeigeordneter von Frankfurt (Oder), beobachtet hat? Welche Rolle spielen die "drei Krisen", die von Teilnehmern aus Deutschland und aus Frankreich gleichermaßen festgestellt wurden: die ökonomische Krise, die urbane Krise und die "Krise der politischen Repräsentation"? Hier stellt sich eine große Herausforderung an Kommunalpolitik und Sozialarbeit, eine Herausforderung, die auf der Pariser Konferenz freilich nicht letztgültig gelöst werden konnte. Die Nachfolgekonferenz, die vom 29.06. bis 01.07.2000 in Frankfurt (Oder) stattfinden wird, wird dementsprechend hauptsächlich diese Frage zu klären versuchen, dann jedoch nicht nur im deutsch-französischen Dialog, sondern auch im Gespräch mit Sozialarbeitern, Kommunalpolitikern und Polizisten aus Polen.

Zumindest in Frankfurt (Oder) würde so ein erster Blick über das Wasser, über die unsichtbare Mauer versucht. Denn Rechtsradikalismus ist heute nicht mehr nur ein nationales, sondern ganz eindeutig ein europäisches Problem.

haGalil onLine 01-03-2000

 

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