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Wahlen beim ZJD - 5. und letzter Teil:
Was heißt hier jüdisch?

Von Jörg Lau
http://www.ZEIT.de/tag/aktuell/200002.lau.2_.html
Nr. 2/2000

Offenheit
statt Abschottung

Der interessierten Neugier können und wollen die Juden sich heute nicht mehr durch Abschottung erwehren. Liokumowitsch verweist mit Stolz auf die Offenheit des Gemeindeblattes für alle Positionen, auch solche, die die Leitung für unsinnig oder schädlich hält.

Man kann es auch so sehen: Die Bereitschaft, solche Grundsatzkonflikte, die früher "in der Familie" geregelt worden wären, auch vor den Augen des nichtjüdischen Publikums auszutragen, spricht vielleicht für eine neue Angstfreiheit in deutsch-jüdischen Angelegenheiten. Wie die jüdische Gesellschaft, so wird zunehmend auch ihre nichtjüdische Umwelt sich bewusst, dass es in Deutschland nicht länger ein einziges, sondern, so sagt es Rachel Salamander, "viele Judentümer" gibt.

Micha Brumlik lehrt als Professor für Pädagogik in Heidelberg, lebt in Frankfurt und publiziert vielerorts - von der alternativen taz bis zur offiziösen Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung. Er ist, wie er selbstironisch sagt, einer der wenigen "öffentlichen Juden" hierzulande - um gleich hinzuzufügen: "Wenn ich jemals im Sinne Theodor Lessings so etwas wie jüdischen Selbsthass entwickeln sollte, dann vor allem gegen meine Existenz als 'öffentlicher Jude' und 'Dialogpartner'."

Diana Pintos These von einem neuen "jüdischen Raum" in Europa hält er für ein Luftschloss. Ähnliche Träume, sagt er skeptisch, hätten die Juden schon einmal auf dem Höhepunkt der Assimilation geträumt.

Brumlik hat auf seinem Lebensweg selbst schon "viele Judentümer" durchlaufen. Als Jugendlicher in Frankfurt hatte er sich einst zur Verwunderung seines Vaters, eines säkular gesinnten zionistischen Funktionärs, entschlossen, als Orthodoxer zu leben - koschere Küche, Käppi und Gebetsriemen inbegriffen. Als glühender Zionist ging er später ins Gelobte Land, um als ebenso rigoroser Antizionist nach Deutschland zurückzukehren. Heute gehört er zu einem Kreis, der sich für das Reformjudentum amerikanischer Prägung stark macht. In Frankfurt kann die Gruppe auf Unterstützung durch die Gemeinde rechnen - jedenfalls solange sie nicht auf Konfrontationskurs geht.

In den orthodox dominierten bundesdeutschen Einheitsgemeinden ist die liberale Richtung freilich immer noch eine Minderheit ohne große Lobby - obwohl die Wurzeln der reformerischen Bewegung im aufgeklärten deutschen Judentum liegen, für das große Namen wie Mendelssohn, Geiger, Jacobson und Baeck stehen. Nach der Vernichtung und Vertreibung seiner tragenden Schichten in der NS-Zeit muss das liberale Judentum nun gewissermaßen nach Deutschland reimportiert werden. In München hat sich neben der orthodox orientierten Einheitsgemeinde unter dem Namen Beth Schalom eine große liberale Gemeinde mit über 400 Mitgliedern gebildet. In Oldenburg und Braunschweig amtiert eine Rabbinerin. 1997 wurde eine Union progressiver Juden in Deutschland, Österreich und der Schweiz ins Leben gerufen. Im vergangenen Herbst hat dieser argwöhnisch beobachtete Dachverband beschlossen, gemeinsam mit dem Moses Mendelssohn Zentrum ein Abraham-Geiger-Kolleg zur Ausbildung reformerischer Rabbiner zu gründen. Das Projekt will nicht zu weiteren Abspaltungen ermutigen, sondern traditionellen Gemeinden "eine zeitgemäße Form des Judentums" anbieten. "Die Union progressiver Juden", heißt es, "ist entschlossen, unser Kolleg zu einem Zentrum der Inspiration zu machen und zu einem Zeichen für den Willen, das progressive Judentum in Deutschland wieder zu etablieren."

Dies sind erste Anzeichen einer Pluralisierung des jüdischen Lebens. Sie zu einer veritablen "Renaissance" zu deklarieren, hält Micha Brumlik allerdings für voreilig. Vor gut zwei Jahren hat er eine Reihe junger Juden eingeladen, über ihre Zukunft in Deutschland nachzudenken. Den Anlass zu dieser Umfrage bot die Rede des israelischen Präsidenten Weizmann bei seinem Deutschland-Besuch 1996. Weizmann pries zwar das neue, demokratische Deutschland, aber schließlich forderte er doch im alten Stil die Juden auf, nach Israel zu kommen. Die Selbstzeugnisse der 19- bis 38-Jährigen, die Brumlik in seinem Buch 'Zuhause, keine Heimat?' gesammelt hat, künden von einem erstaunlichen neuen Selbstbewusstsein.

Wohlmeinende Versuche von israelischer Seite, jüdisches Leben in Deutschland für illegitim zu erklären, werden ebenso entschieden zurückgewiesen wie die zudringliche Umklammerung alles Jüdischen durch die stetig wachsende Schar der einheimischen "Philos", die Gemeindehäuser und Synagogen belagern. Ohne Furcht vor Vereinnahmung bekennen sich die jungen Juden zu einer deutschen Prägung - und zur Entscheidung, im Lande zu bleiben. Man mag nach den fremdenfeindlichen Pogromen der Nachwendezeit zwar nicht für alle Zeiten ausschließen, dass diese Entscheidung vielleicht doch einmal revidiert werden könnte. Allerdings - würde man nicht eine fatale "jüdische Opferidentität" pflegen, ließe man von solcher Ungewissheit seine Selbstdefinition bestimmen?

Einigen Menschen passt es nicht,
wenn Juden aus der Opferrolle fallen

Es ist ein Leichtes, sich deklaratorisch von dergleichen loszusagen. Aber leider gibt es eine Reihe von Menschen, denen es überhaupt nicht in den Kram passt, wenn Juden in Deutschland aus der Opferrolle fallen. Iris W. hat am Abend vor unserem Gespräch erfahren, dass in einer Diskussionsgruppe im Internet ein apokalyptisch predigender Text aufgetaucht ist, in dem zur "Ausrottung" und "Auslöschung" der Betreiber von ha Galil onLine aufgerufen wird.

Iris W. betreut bei diesem Anbieter die Berliner Seite: The Jewish Site of Berlin. Der Autor der Verwünschung gibt sich jüdisch, aber die netzerfahrenen Freunde von Iris W. vermuten hinter seinem Pseudonym einen Neonazi, der es auf die erblühende jüdische Net-Community abgesehen hat. Der Unbekannte lanciert seine Beiträge in Diskussionsforen für jüdische Themen. Er klinkt sich mit harmlosen Fragen in eine Debatte ein, um dann schließlich die nichtsahnenden Teilnehmer mit Hassbotschaften zu überschütten.

Die Attacke zielt auf eine neue jüdische Öffentlichkeit, die in jüngster Zeit starken Aufwind hat. HaGalil entstand vor vier Jahren als Folge einer heftigen E-Mail-Debatte nach dem Attentat auf Jitzhak Rabin. Heute zählt man monatlich über 750.000 Zugriffe auf die Website, ein großer Erfolg für ein nichtkommerzielles Unternehmen dieser Art.

Für jemanden, der wie Iris W. seinen Lebensunterhalt mit Stadtführungen verdient, ist eine solche anonyme Drohung schlafraubend. Sie wird sich eine Weile lang wie eine wandelnde Zielscheibe fühlen, wenn sie Besucher etwa durch die "Emanzipationsgeschichte Berliner Jüdinnen - von der ersten Münzmeisterin zur ersten Rabbinerin" führt. Iris W., in Deutschland geboren, ist die Tochter eines jüdischen Vaters, der im Versteck überlebt hat, und einer nichtjüdischen Mutter. In Amerika konnte sie bei einem orthodoxen Rabbiner zum Judentum konvertieren, was einen hiesigen Kollegen strenger Observanz nicht davon abhielt, sie als "Bastard" zu bezeichnen. Sie gehöre nicht zu den Leuten, sagt sie mit gehörigem Sarkasmus, "die plötzlich konvertieren wollen, nachdem sie reihenweise Holocaust-Memoiren verschlungen haben". Iris W. hat sich ein profundes historisches und theologisches Wissen über die jüdische Religion erarbeitet, sie ist nicht leicht einzuschüchtern.

Sie ist es gewohnt, dass man sich über ihre blonden Haare wundert. Nur manchmal fragt sie sich, ob es wirklich einen Sinn hat, sich der gnadenlosen Folkloreleidenschaft des "judaisierenden Milieus" für ein bestimmtes Bild vom alten jüdischen Berlin in tapferer aufklärerischer Absicht entgegenzustemmen: "Wenn ich eine Tour mit dem Thema 'Ostjuden im Scheunenviertel' anbiete, kommen die Massen. Wenn ich durch das weniger malerische 'jüdische Wilmersdorf' führen möchte, muss der Termin meist ausfallen, weil keiner kommt."

Im Dezember ist zum Online-Dienst und zu den Führungen ein drittes Projekt hinzugekommen - Golem, ein "europäisch-jüdisches Magazin", herausgegeben von der Berliner Künstlergruppe Meshulash, zu der auch Iris W. gehört. Diana Pinto mit ihrem Traum vom neuen europäischen Judentum ist durch zwei Beiträge vertreten. Sie ist offenbar die intellektuelle Mentorin des Unternehmens. In der ersten Nummer geht es, was Wunder, vor allem um Probleme der Selbstdefinition. Eine Frage zieht sich durch fast alle Beiträge: "Wer ist Jude?" Eine sehr alte Frage, und es gibt bekanntlich auch schon reichlich unvereinbare Antworten auf sie.

Arthur Hertzberg, der große alte Mann der amerikanisch-jüdischen Gelehrsamkeit, hat sein neues Buch, das in Kürze auf Deutsch erscheinen wird, ebenjener Frage gewidmet. "Wenn die Orthodoxie also nicht imstande ist, die Kontinuität des Judentums zu gewährleisten, wer dann? In den letzten zweihundert Jahren war der Pluralismus das einigende Prinzip des modernen Judentums... Juden können sich nicht in Frieden lassen, weil sie die Erben langer Generationen von Vorfahren sind, die sich nie darüber einig werden konnten, welche Verpflichtungen ein Jude eigentlich zu erfüllen hat." Ob es hier überhaupt neue Antworten geben kann - das ist am Ende vielleicht gar nicht so wichtig wie die höchst wundersame Tatsache, dass die berühmte alte Frage jetzt auch in Deutschland von vielen Juden neu gestellt wird.

  • · · Bernard Wasserstein: Europa ohne Juden
    Das europäische Judentum seit 1945;
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999; 388 S., 75,- DM
    · · Diana Pinto: Europa - ein neuer "jüdischer Ort"
    in: Menora. Jahrbuch für deutsch- jüdische Geschichte 1999;
    Philo-Verlag, Berlin 1999; 386 S., 39,80 DM
    · · Micha Brumlik (Hrsg.): Zuhause, keine Heimat?
    Junge Juden und ihre Zukunft in Deutschland;
    Bleicher-Verlag, Gerlingen 1998; 216 S., 28,- DM

Unter www.zeit.de/links/ erhalten Sie weitere Informationen zum Thema.

Artikel zu diesem Thema:
DIE ZEIT 2/2000: Nach 1945 schien ein Wiederbeginn
jüdischen Lebens in Deutschland undenkbar

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