62-Jähriger will sich als
Zentralratspräsident nicht aufreiben:
Paul Spiegel für Einheitsgemeinde
Düsseldorf (AP Andreas Rehnolt)
Die Integration unterschiedlicher jüdischer Traditionen unter einem Dach -
darin sieht Paul Spiegel, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, die größte Herausforderung der Zukunft. Der Vorsitzende des
Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Nordrhein Westfalen plädiert für
eine Einheitsgemeinde aus Liberalen, Konservativen und Orthodoxen.
Mit diesem Ziel vor Augen kandidiert
Spiegel am kommenden Sonntag für die Nachfolge des im August 1999
verstorbenen Zentralratspräsidenten Ignatz Bubis. Dabei unterscheidet er
sich inhaltlich kaum von seiner Gegenkandidatin Charlotte Knobloch von der
Münchner Kultusgemeinde.
Der am 31. Dezember 1937 im
westfälischen Warendorf geborene Spiegel hat den Holocaust zumindest als
Kind noch aktiv miterlebt. Seine Familie floh 1939 nach Belgien, wo
katholische Bauern sich des Jungen annahmen und ihn bis 1945 versteckten.
Die Mutter konnte in Brüssel untertauchen. Der Vater wurde gefangen genommen
und überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Auschwitz und Dachau. Das
Schicksal der älteren Schwester, die ebenfalls in die Hände der Gestapo
fiel, wurde nie aufgeklärt.
Nach Kriegsende kehrte die Familie
nach Warendorf zurück, wo Spiegel die Grundschule und das Gymnasium
besuchte. 1958 begann er ein Volontariat bei der «Allgemeinen Jüdischen
Wochenzeitung», bei der er bis 1965 blieb. Danach wurde er Redakteur des
«Jüdischen Pressedienstes» und Assistent des Generalsekretärs des
Zentralrats der Juden in Deutschland. Seit 1993 ist Spiegel Vizepräsident
des Zentralrats, seit 1995 Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen
Gemeinden von Nordrhein-Westfalen.
1964 heiratete er seine Frau Gisele,
mit der er zwei Töchter hat. Seine Familie will er im Falle seiner Wahl zum
Zentralratspräsidenten keinesfalls vernachlässigen. Und auch seine
erfolgreiche Firma will er weiter betreiben. Er steht seit 1986 an der
Spitze der von ihm gegründeten Internationalen
Künstler-Agentur für Show und Unterhaltung in Düsseldorf.
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Spiegel ist der Überzeugung, dass die
Arbeit des neuen Zentralratspräsidenten «auf mehrere Schultern verteilt»
werden muss. «Ich werde meine Kraft und meine Zeit nicht in dem Maße
einbringen können wie Ignatz Bubis», erklärte er unlängst in einem
Interview.
Noch kein vorurteilsfreies
Miteinander möglich
In Deutschland leben inzwischen
wieder fast 100.000 Juden. Allein seit 1989 kamen etwa 50.000 aus Russland.
Damit ist die jüdische Gemeinde in Deutschland nach Angaben Spiegels
mittlerweile die Drittgrößte in Westeuropa. «Dies wäre nicht so, wenn die
jüdische Gemeinschaft kein Vertrauen zu Deutschland hätte. Es wird aber noch
mehrere Generationen dauern, bis es ein vorurteilsfreies Miteinander von
Juden und Nichtjuden in Deutschland geben kann», erklärte der mögliche
Nachfolger von Bubis.
Nach Darstellung Spiegels sind 80
Prozent der jüdischen Gemeinden in Deutschland hoch verschuldet. Drei
Viertel der Einwanderer seien zwar hoch qualifiziert, sprächen aber zunächst
kein Deutsch und lebten von der Sozialhilfe. Sie zahlten keine Kultussteuer
und wüssten auch nicht viel vom Judentum. Von Bund, Ländern und Gemeinden
erwartet Spiegel mehr Unterstützung, um mehr als 50 Jahre nach dem Holocaust
die jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder zu stärken und zu beleben.