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Vertriebene und vergessene Musik:
Der Wiener Orpheus Trust

Seit drei Jahren beschäftigt sich der Verein "Orpheus Trust" in Wien mit der Erforschung und Veröffentlichung von Musik und Musikern, die von den Nationalsozialisten vertrieben wurden und seither in Vergessenheit geraten waren. Die ersten Erfolge der Vereinsaktivitäten lassen sich in Zahlen messen: 5.500 Einträge umfasst das Werkverzeichnis der computerisierten Datenbank, 3000 Namen von Musikschaffenden wurden bisher registriert. Allein im Vorjahr organisierte der Verein zudem 35 Veranstaltungen, um Werk und Leben von Verfolgten des Nazi-Regimes wieder ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.

"Bei der Musik", so die Initiatorin und treibende Kraft des "Orpheus Trust" Dr. Primavera Gruber, "begann die kritische Aufarbeitung des Nationalsozialismus, verglichen mit anderen Disziplinen wie etwa der Literatur, sehr spät". Und obwohl spätestens seit der Waldheim-Affäre 1986 ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein über die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der speziellen österreichischen Rolle besteht, fand Gruber noch 1996 die Musik als ein unbearbeitetes Forschungsgebiet, mit dem sich kaum jemand auseinandersetzen wollte. Nicht einmal das Musikinformationszentrum, eine öffentliche Einrichtung, die den Auftrag hat, lebende Komponisten aus Österreich zu fördern, wollte sich in dieser Richtung engagieren. Der damalige Sektionschef Temnitschka, dem Gruber von diesem Manko unterrichtet hatte, ermutigte sie zur Gründung des Orpheus Trust - "Sie haben doch schon das Klangforum in Wien aufgebaut. Tun Sie auch in diesem Bereich etwas."

Den inhaltlichen Ausgangspunkt bildete das 1996 erschienene Buch "Orpheus im Exil", das einen ersten Überblick über die vertriebenen österreichischen Musikschaffenden gegeben hat. Ungefähr 600 Personen sind darin angeführt, und bei einem Teil wussten die Autoren nur die Namen und die wichtigsten Eckdaten. Für Primavera Gruber war das ein erster Aha-Effekt: "So viele sind das und so viele unbekannte Namen." Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht absehbar, dass Recherchen die Zahl der betroffenen Musikschaffenden, zu denen nicht nur Komponisten sondern auch Interpreten, Dirigenten, Musikwissenschafter und -publizisten gezählt werden, in nur drei Jahren verfünffachen sollten.

Die namentliche Erfassung ist Kernstück der Personendatenbank mit biographischen Informationen zum Musikschaffen, der Exilgeschichte und der primären wie sekundären Bibliographien. "Das wichtigste Kriterium zur Aufnahme in die Datenbank", erklärt Gruber, "ist die Verfolgung, die nicht nur jüdische Musikschaffende betroffen hat, wenngleich ich annehme, dass rund 95 % der Vertriebenen Juden sind". Der Begriff "entartete Musik" umfasste schliesslich sowohl die Herkunft von jüdischen Autoren, als auch eine bestimmte Stilrichtung. Zur Erhebung der Lebensgeschichte werden Audiointerviews mit den überlebenden Musikschaffenden, mit deren Hinterbliebenen oder Zeitzeugen gemacht, die transkribiert, ausgewertet und archiviert werden. Die erste Publikation mit einer Auswahl von Lebensgeschichten von nach Israel geflüchteten Musikschaffenden wird nächstes Jahr erscheinen. In diesem Buch wird auch die Frage nach dem Kulturtransfer gestellt: welchen Beitrag haben die nach Israel ausgewanderten Musikschaffenden dort geleistet, und umgekehrt, wie war die Rückwirkung auf Österreich, und welche Relevanz hat das auf internationaler Ebene? Initiatorin Primavera Gruber betont, dabei "nicht die ‚Opfer' dokumentieren", sondern bewusst machen zu wollen, welches Potential diese Musikschaffenden hatten, und welchen Verlust ihre Vertreibung bedeutete.

Geographisch nimmt der Orpheus Trust eine Eingrenzung nach dem Geburtsort sowie dem Zuzug nach der Geburt vor (bis 1918 das Gebiet der Donaumonarchie, danach die Republik Österreich). Gruber: "Jemand, der vor 1918 in Lemberg geboren wurde und dort geblieben ist, zählt dazu, wenngleich die Datenerhebung dazu sehr schwierig ist". Ein zweites zentrales Archiv stellt die Werkdatenbank dar. Diese Datenbank hat einen großen Praxisbezug. Hier wird bei Kompositionen die Besetzung, Urheberrechte, Aufbewahrungsort der Noten, die Rezeption etc. festgehalten. Bei Musikern und Dirigenten werden das Repertoire, Tonaufnahmen, Dokumentationen etc. erhoben. Die Datenbanken enthalten Informationen zum Rechtsnachfolger bzw. Werknutzungsberechtigten, Kritik, Programmzettel etc.

Ob sich daraus bereits Erfahrungen hinsichtlich Restitution ergeben haben? Dazu fehlen laut Gruber die entsprechenden Recherchen. Im Vergleich zu anderen Kunstrichtungen sei Musik immateriell, und werde erst durch Speicherung auf Tonband oder Platte gegenständlich. Die Musikverlage wären unter dem Nationalsozialismus zum Teil verpflichtet gewesen, die Werke zu vernichten. Am ehesten, vermutet Gruber, könnte man bei der Unterhaltungsmusik etwas finden. Da wären oft populäre Stücke auch den Krieg über gespielt, unter anderem Namen veröffentlicht, und zumeist keine Tantiemen bezahlt worden. Die Frage nach den Tantiemen ist besonders bei "gemischten" Autorenduos von Interesse, wo ein Autor verfolgt wurde und flüchten musste, der zweite aber nicht.

Nicht zuletzt aufgrund der vielen offenen Fragstellungen ist Orpheus Trust-Gründerin Primavera Gruber die Vernetzung der einzelnen Archive wichtig, und sie strebt die Gründung eines Netzwerkes aller mit NS-verfolgter Musik befassten Institutionen an. Das kleine Büro des Orpheus Trust dient seinerseits bereits jetzt als Informationsstelle und Archiv für Musiker, Veranstalter, Forscher und Studierende. Langfristig sollten die Informationen auch via Internet zugänglich werden. Für die Zukunft ist der weitere Ausbau der Datenbank sowie die Herausgabe eines Lexikons geplant. Letzteres würde einen Forschungsaufwand für Grundlagenforschung von mindestens drei Jahren erfordern, wofür es derzeit kein Geld gibt. Das mit dem Geld ist überhaupt so eine Sache: Eine fundierte finanzielle Grundlage hat der Orpheus Trust auch im vierten Jahr seines Bestehens noch nicht erhalten. Das hat einerseits die ständige finanzielle Bedrohung zur Folge, andererseits können vorliegende Materialen mangels Arbeitskräften nicht aufgearbeitet werden. Gäbe es eine entsprechende Finanzierung, so könnte die Zahl der Datensätze in der Werkdatenbank in kürzester Zeit verdreifacht werden. Hindernisse finden sich aber auch bei der historischen Recherche. So hatte Primavera Gruber den Versuch einer Topographie vertriebener Musikschaffender im 7. und 8. Wiener Bezirk unternommen und dabei 1200 Musikschaffende neu entdeckt. Eine weitere Zusatzrecherche wird aber durch monatelange Wartezeiten auf dem Meldeamt verzögert.

Zusätzlich zur Archivarbeit organisierte der Verein allein im Vorjahr 35 Veranstaltungen: Vorträge, Symposien, Ausstellungen und natürlich Konzerte, bei denen jeweils die Musikschaffenden selbst sowie deren Werke im Vordergrund stehen. Dabei wird die Zusammenarbeit mit möglichst unterschiedlichen Veranstaltern angestrebt, um mit unterschiedlichen Publikumssegmenten in Berührung zu kommen. Damit kann man bei den Veranstaltern und ihrem jeweiligen Stammpublikum das Bewusstsein wecken, dass es vertriebene Musik überhaupt gibt. Bei der ebenfalls bestehenden Zusammenarbeit mit der Universität für Musik geht es vor allem um das Weitergeben von Wissen um Werke und Komponisten an die Studierenden, die sie im Universitätsbetrieb nicht erhalten.

Alle zwei Jahre gibt es einen großen thematischen Schwerpunkt. Heuer steht Karl Weigl (1881-1949), ein Zeitgenosse Arnold Schönbergs, der aber fast völlig in Vergessenheit geraten ist, im Mittelpunkt. Mit Schönberg verband Weigl eine einjährige Zusammenarbeit in der Vereinigung Schaffender Tonkünstler, die 1904/05 das Wiener Publikum mit avantgardistischer Musik konfrontierte. Weigl verliess dann aber die moderne und revolutionäre Stilrichtung, um der Tradition Gustav Mahlers zu folgen, dessen Assistent er wurde. Weigl's Werk umfasst Kammermusik, Symphonien, Lieder sowie Chormusik, gespielt unter Wilhelm Furtwängler, von den Wiener Philharmonikern und anderen. Der Orpheus Trust thematisiert und würdigt Weigl mit einer ganzen Reihe von Vorträgen und Konzerten in Österreich.

Kontaktadresse:
Orpheus Trust - Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst; A-1070 Wien, Sigmundgasse 11/3; Tel/Fax: 0043-1-526 8092; email: orpheustrust@netway.at

Anton Legerer jr. / anton@hagalil.com / haGalil 17-01-2000

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