Charlotte Knobloch:
Integration fördern und Fremdheit
abbauen
München (AP) Die Frage nach
ihrem Wahlprogramm überrascht Charlotte Knobloch. Die Aufgaben des
Nachfolgers von Ignatz Bubis liegen für die Kandidatin für das Amt des
Zentralratspräsidenten auf der Hand: Die Zuwanderer aus Russland
integrieren, die Fremdheit zwischen Juden und Nichtjuden abbauen, die Juden
in Politik und Gesellschaft vertreten. Als Vizepräsidentin des Zentralrats
der Juden in Deutschland kennt sie Bubis' Arbeit: «Diesen Kurs will ich
fortsetzen.»
Bubis sei «ein einmaliger Glücksfall
gewesen - kein Nachfolger wird diese Persönlichkeit und Wirkung haben
können», sagt Knobloch. Mit seinem ruhelosen Einsatz habe er seine
Gesundheit ruiniert. Wenn sie am kommenden Sonntag gewählt würde, würde sie
die Aufgaben des Zentralrats auf mehr Schultern verteilen. Der Sitz im
Jüdischen Weltkongress zum Beispiel könnte auch einem Jüngeren anvertraut
werden.
Knobloch rechnet sich recht gute
Wahlchancen aus. Programmatische Unterschiede zu ihrem Gegenkandidaten Paul
Spiegel verneint sie.
Charlotte Knobloch wurde als Tochter
des bekannten Rechtsanwalts Fritz Neuland in München geboren. Nach der
Scheidung der Eltern wurde sie von ihrer Großmutter erzogen, die sie als
«Dame» mit hoch gestecktem Haar und Hut in Erinnerung hat. Das zehnjährige
Kind erlebte das Eindringen der Gestapo in die Wohnung, die Abwendung der
Nachbarskinder und die Festnahme des Vaters. Eine katholische Bauernfamilie
in Franken versteckte sie während des Krieges bei sich. Nach der Befreiung
kehrte ihr Vater, der als Zwangsarbeiter überlebt hatte, nach München zurück
und wurde von der kleinen jüdischen Gemeinde zu ihrem Präsidenten gewählt.
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Wie viele andere jüdische Gemeinden
in Deutschland ist die in München durch die Zuwanderung aus Russland
sprunghaft gewachsen. Mit 7.500 Mitgliedern ist sie jetzt, nach Berlin und
mit Frankfurt am Main, die zweitgrößte. Die Heime platzen aus allen Nähten.
Die Einwanderer müssen Deutsch lernen, und von jüdischer Religion wissen sie
meist wenig. Von der Bundesregierung erwartet Knobloch mehr Geld, um das
Judentum in Deutschland 60 Jahre nach dem Holocaust wieder zum Blühen zu
bringen.
Bitter reagiert Knobloch auf
Anschläge und Friedhofsschändungen. Immer wieder ist auch sie selbst Ziel
von Attacken. Erst kürzlich wurden die Reifen ihres Autos abermals
zerstochen. In ihrer Heimatstadt München will sie Synagoge und
Gemeindezentrum zurück in die Stadtmitte verlegen, damit es wieder «Juden
zum Anfassen» gebe. Die Unkenntnis zwischen Juden und Nichtjuden zu
beseitigen, nennt Knobloch eine der wichtigsten Aufgaben. Im Dezember wurde
sie von der Stadt München für ihre Verdienste um Erwachsenenbildung und
Wohlfahrt über die Kultusgemeinde hinaus ausgezeichnet. Oberbürgermeister
Christian Ude lobte ihre «große Mitmenschlichkeit und Charakterstärke».