Jörg Haider:
Der Alptraum Europas
Von AP-Korrespondentin Deborah Seward -
Regierungsbeteiligung von Haiders FPÖ ruft scharfe Proteste hervor -
Experten sehen Beginn einer einheitlichen EU-Außenpolitik
Jörg Haider ist zum Alptraum Europas
geworden. Der rechtsgerichtete Politiker, dessen FPÖ seit Freitag der
Regierung in Wien angehört, hat in vielen Hauptstädten alte Ängste
wachgerufen. Einmütig protestierten die 14 EU-Partner gegen die
politische Aufwertung eines Mannes, der die Beschäftigungspolitik Adolf
Hitlers lobte und sich noch 1996 mit Veteranen der Waffen-SS zeigte. Die
Reaktionen spiegeln die Schwierigkeiten mit Rechtsradikalen wider, die
es in vielen EU-Staaten gibt. Sie könnten aber auch ein Ausdruck der
Scham sein, vielen Problemen des 20. Jahrhunderts gegenüber versagt zu
haben.
Kopflos reagierten die europäischen
Staaten in den 30-er Jahren auf die Entstehung des
Nationalsozialismus und die Machtübernahme Adolf Hitlers in
Deutschland. Tatenlos sahen sie nach dem Zweiten Weltkrieg der
Entstehung kommunstischer Regimes in Osteuropa zu. Und als sich in
den vergangenen Jahren nationalistische Ideologien auf dem Balkan
breitmachten und zu blutigen Kriegen führte, zeigte sich die EU
lange Zeit hilflos.
Deshalb betrachtet der Europaexperte
Thomas Risse die heftige Reaktion auf die FPÖ-Regierungsbeteiligung
äußerst positiv. «Es ist ein Symbol», sagt der auf internationale
Beziehungen spezialisierte Professor der Europäischen Universität in
Florenz. «Es ist die Bekräftigung einer bestimmten europäischen
Identität und die Forderung, dass EU-Staaten einen gewissen Standard
erfüllen müssen. Es ist der Beginn einer gemeinsamen Außenpolitik.»
Bundeskanzler Gerhard Schröder und der
französische Präsident Jacques Chirac zählten zu denjenigen, die am
schärfsten auf die Regierungsbeteiligung der Haider-Partei
reagierten. Schröder wies auf die Gefahr für Deutschland hin:
Angesichts des CDU-Parteienskandals könnten sich enttäuschte
konservative Wähler am Beispiel Österreichs orientieren und ihre
Stimme künftig radikalen Grupperungen geben. In Paris bekräftigte
die Sprecherin des Elysee-Palastes, Catherine Colonna, Chiracs
Befürchtung, dass die EU Schaden nehmen könne. «Europa ist vor allem
eine Gemeinschaft der Werte», sagte sie. «Die Grundsätze des
Humanismus und der Menschenrechte in Frage zu stellen, könnte
Zweifel an der Existenzberechtigung der EU wecken.»
Angst vorm österreichischen Beispiel
In vielen EU-Staaten geht die Angst um,
dass das österreichische Beispiel Schule machen könnte. Starke
rechtsradikale Bewegungen gibt es zum Beispiel in Frankreich, in
Belgien und in Italien. Befürchtet wird auch, dass sich
osteuropäische Staaten - junge, noch nicht gefestigte Demokratien -
an Österreich orientieren könnten.
Die französische Regierung kündigte an,
die Beziehungen zu Wien auf ein Minimum begrenzen zu wollen. Andere
EU-Staaten folgten dem Beispiel. In Belgien wurden sogar kulturelle
Verbindungen zu der Alpenrepublik ausgesetzt; ein Museum in Lüttich
machte die Zusage rückgängig, ein Gemälde Paul Gauguins ausleihen zu
wollen. Der israelische Botschafter in Wien verließ das Land aus
Protest gegen die ÖVP/FPÖ-Regierung.
Demgegenüber bewertete der Professor
für moderne Geschichte, Thomas Row, viele Proteste als übertrieben.
«Da ist viel Scheinheiligkeit dabei», sagte er. «Es ist leichter,
auf Haider zu zeigen, als auf die Situation im eigenen Land. In
Europa haben viel mehr Leute ein schlechtes Gewissen, als man
denkt.»
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